Die Kaiserjagden

Jagdegesellschaft mit Kaiser Wilhelm II. auf der Freitreppe des Schlosses Neugattersleben
Jagdegesellschaft mit Kaiser Wilhelm II. auf der Freitreppe des Schlosses Neugattersleben

Als Seine Majestät Kaiser Wilhelm II. 1902 in Neugattersleben weilte, war dies sein letzter Besuch in unserem Ort. Er diente nicht, wie seine vorhergehenden Aufenthalte, seiner Jagdleidenschaft zu frönen, sondern war der Weihung des Denkmals der Anna von Alvensleben gewidmet.
Im Januar 1883 war Kronprinz Wilhelm II. das erste Mal in Neugattersleben zur Jagd. Es folgten die Jagden im November 1884 und Dezember 1885. Nach einer vierjährigen Pause erfolgte im Dezember 1889 wieder eine Jagd in Neugattersleben, an der Wilhelm II teilnahm. Pfarrer Wilhelm Kamlah schreibt in seiner Chronik von Neugattersleben von 1907 für das Jahr 1894: „Neugattersleben ist derjenige Ort in der Provinz Sachsen, welchen Se. Majestät als Kaiser zu allererst betreten und seitdem mehr als alle anderen Orte der Provinz besucht hat.“ Bis zum Jahre 1900 weilte Wilhelm II. dreimal als Kronprinz und achtmal als deutscher Kaiser (Dezember 1889, November 1890, Dezember 1891, Dezember 1892, November 1893, Dezember 1894, Dezember 1895, November 1900) zur Jagd in Neugattersleben. Nach der Jagd 1895 scheint Seine Majestät Wilhelm II. das Interesse an einer Jagd in Neugattersleben verloren zu haben. Werner Alvo von Alvensleben fragt 1900 bei Hofe an, ob der Kaiser nicht wieder einmal zur Jagd auf sein Schloss kommen möchte. Am 20.11.1900 erhält der Schlosshauptmann W.A. von Alvensleben vom Oberhofmarschall Graf von Eulenburg ein Telegramm, in dem ihm mitgeteilt wird, dass der Kaiser seiner Bitte entspricht und wieder zur Jagd kommen wird. Ein genauer Termin konnte noch nicht mitgeteilt werden. Am 03. Dezember bedankt sich Werner Alvo von Alvensleben überschwänglich bei von Eulenburg für die Vermittlung beim Kaiser. Die Jagd wurde auf den 18. und 19. Dezember festgelegt. Wie an den vorangegangenen Jagden war alles bis auf das Kleinste organisiert. Selbst für die Sicherheit Seiner Majestät des Kaisers war von höchster Stelle gesorgt. Der Polizei-Präsident in Berlin schickte eigens der Jagd einen Gendarmen nach Neugattersleben, um die hiesige Polizei zu unterstützen.
Den Ablauf der Jagd im Dezember 1900 möchte ich im folgenden etwas näher beschreiben. Man kann davon ausgehen, dass die vorhergehenden Jagden einen ähnlichen Ablauf hatten, da vorhandene Unterlagen im Einzelnen fast gleich aussehen. Am 18. Dezember setzte sich der kaiserliche Sonderzug nachmittags um 03:25 Uhr im Wildpark in Berlin in Bewegung, um gegen 03:50 Uhr in Wannsee und gegen 06:00 Uhr auf dem Bahnhof in Neugattersleben einzutreffen. Der Bahnhof war wie immer zu solchen Anlässen festlich geschmückt. In seiner Ausgabe 296 schreibt der Anhalter Kurier „Das Stationsgebäude war mit Tannengrün, Guirlanden, Kränzen, Fahnen und Wappen geschmückt und herrlich illuminiert. Der Anbau am rechten Flügel des Stationsgebäudes ist eigens für den hohen Gast eingerichtet; mit seiner Ehrenpforte, den herrlichen Draperien, dem schönen Tannengrün, aus welchem elektrisches Licht magisch hervorleuchtete, machte das Gebäude einen prächtigen Eindruck.“ Nach der Begrüßung des Kaisers durch den Schlossherren Werner Alvo von Alvensleben und dem Landrat von Pape - Calbe bestiegen der Jagdherr und sein Gast die von zwei Schimmel gezogene Kutsche, um sich auf das Schloss zu begeben. Im Gefolge des Kaisers befanden sich die Herren Hofmarschall Freiherr von und zu Egloffstein, Generalmajor von Mackensen, Flügeladjutant von Grumme und Oberstabsarzt Dr. Ilberg. Im weiteren kamen mit dem Sonderzug an: Minister von Wedel, vom Hofstaatssekretariat Geheimer Hofrat Schwerin, vom Cheffrierbüro ein Beamter sowie der Ober-Jägermeister Freiherr von Heintze.
Die den Kaiser begleitenden Herren fuhren mit drei anderen Kutschen in Richtung Neugattersleben. Die Abfahrt der Jagdgäste vom Bahnhof signalisierte eine Rakete. Die Fahrt vom Bahnhof zum Dorf dauerte etwa 10 Minuten. Für alle unerwartet, äußerte der Kaiser den Wunsch am Grab der Anna von Alvensleben einen Blumenstrauß aus Maiblumen und weißen Chrysanthemenblüten niederzulegen. Er brachte damit die Vorbereitungen des Schlossherren durcheinander, da am Mausoleum für den Kaiserempfang nichts vorbereitet war. Nach einer kurzen Andacht begab man sich zum Schloss. Im Dorf und im Schloss wurden die Gäste von der Bevölkerung begrüßt. Das Schloss war auf Wunsch des Kaisers nicht wie bei den  vorhergehenden Kaiserjagden geschmückt wurden. Dafür hat der Mühlenbetreiber Conrad die Mühle um so prächtiger geschmückt. Vor dem Schloss hatten sich neben Schulkindern mit Lampions der Kriegerverein, der Gesangs- und Turnverein sowie die Feuerwehr mit Fackeln aufgestellt. Um das Rondell im Schlosshof und auf der Freitreppe des Schlosses hatten Bergleute der Grube „Luise Hedwig“ mit Fackeln Aufstellung genommen. Musiker der Stadtkapelle Calbe spielten beim Eintreffen des Kaisers vom Uhrturm herab den „Fürstengruß“. Dieser musste zweimal gespielt werden, da ja niemand wusste, dass der Kaiser einen Abstecher zur Kirche gemacht hat. Auf der Freitreppe wurde der Kaiser von den Söhnen des Schlossherren begrüßt. Nach der Begrüßung begaben sich alle Gäste in das Schloss, um sich in den von dem Schlossherrn zugewiesenen Zimmern für das für 19:00 Uhr vorgesehene Diner vorzubereiten. Die Anzugsordnung dafür war die Jagduniform oder Frack mit weißer Krawatte. Nach dem Diner begaben sich die Gäste in die oberen Räume des Schlosses, um sich zu unterhalten und Karten zu spielen. Die Jagdgesellschaft war fast ausschließlich zur Übernachtung im Schloss untergebracht, wobei der Kaiser die Räume des Hausherrn zugeteilt bekommen hatte. Am Mittwoch, den 19. Dezember begann der Tag um 07:15 Uhr mit dem Weckruf. Zwischen 08:00 Uhr und 08:45 Uhr wurde im Ess-Saal Kaffee und Tee serviert und um 09:00 Uhr war dann die Abfahrt zum Jagdfeld, wo gegen 09:30 Uhr das erste Treiben begann. Jeder Jagdgast hatte vom Jagdherren ein Heft bekommen, in dem die Wagen- und Standnummer vermerkt war und der Schütze sein Jagdergebnis zu notieren hatte. Außerdem wurden die Herren gebeten, bekannt zu geben, ob sie auch einen anhaltischen oder nur einen preußischen Jagdschein haben, da die Jagd auch auf anhaltischen Gebiet abgehalten werde. Während sich der Kaiser im vom Schlosshauptmann von Alvensleben gelenkten Viererzug in die Bernburger Flur zur Hasenjagd begab, führten die übrigen Jagdgäste eine Streife auf Hasen in der Brumbyer Flur durch. Bei der Streife Seiner Majestät waren Soldaten der Bernburger Garnision als Treiber tätig. Gegen 12:00 Uhr kehrte Wilhelm II. sowie die gesamte Jagdgesellschaft auf das Schloss zurück. Hier nahmen alle gemeinsam in der Glashalle ein Gabelfrühstück ein. Nach diesem gemeinsamen Essen begab sich der Kaiser gegen 13:30 Uhr zu Fuß in den Schlosspark zu einer weiteren Streife. Diese Steife auf Fasane, die von Wilhelm II. allein durchgeführt wurde, endete gegen 14:15 Uhr. Danach begab sich der Kaiser wieder in das Schloss, um sich etwas Ruhe zu gönnen. Die Jagd der anderen Gesellschaft dauerte bis etwa gegen 15:30 Uhr, um danach auch wieder in das Schloss zurückzukehren und sich etwas auszuruhen. Während die hohen Herren sich Ruhe gönnten, wurde auf dem Rondell des Schlosshofes die Strecke vorbereitet. In 5 langen Reihen wurde die Jagdbeute gelegt. Die Gesamtstrecke dieses Tages betrug: 723 Hasen (333), 24 Fasane (22), 9 Kaninchen (8), 2 (1) Verschiedenes. Dabei sind die eingeklammerten Zahlen das Jagdergebnis des Kaisers. Während der Besichtigung der Strecke blies das Hornistenkorps der Calbenser Kapelle „Begrüßung, Hasen tot. Fasanen tot, Kaninchen tot, Jagd vorbei“. Der Abschuss diesen Tages wurde in zwei Kategorien veräußert. In Einem wurde verschenkt und im Anderen wurde verkauft. Verschenkt wurde an Herren aus dem Gefolge des Kaisers. So erhielt der Hofrat Schwerin 3 Hasen, zwei kaiserliche Leibjäger je 3 Hasen, der Leibgendarm 3 Hasen, der Garderobier 3 Hasen und andere Herren. Insgesamt wurden 26 Hasen verschenkt. Verkauft wurden an den Hasenhändler Ball in Güsten 598 Hasen zu 3,27 RM das Stück, an die Schützen-Companie in Calbe 60 Hasen zu 3,60 RM das Stück und an Einwohner aus Neugattersleben 36 Hasen zu 3,50 RM das Stück.

Die Gesamtstrecke aller Jagden Kaiser Wilhelm II. in Neugattersleben war:

 

                      Hasen      Fasane      Kaninchen      Verschiedenes

13.01.1883     188              -                   -                         -

25.11.1884     228              -                   -                         -

15.12.1885       -              44                 22                        3

16.12.1885     176              -                   -                         -

16.12.1889     387           50                  47                        -

10.11.1890     464           50                  23                        3

11.12.1891     588             -                     1                        -

13.12.1892     343           52                    3                        3

28.11.1893     832           51                    8                        5

17.12.1894     287           29                    3                        2

29.11.1895     650           60                    1                        4

19.12.1900     336           22                    8                        1

Gesamt         4479         358                116                       21

 

Jagd im Schloßpark Neugattersleben
Jagd im Schloßpark Neugattersleben

Kurz nach 6:00 Uhr begann im Speisesaal des Schlosses das Gala-Diner. Auch hier war, wie am Tage zuvor, die Jagduniform oder der Frack mit weißer Cravatte Pflichtgarderobe. Gegen 20.40 Uhr standen vor der Freitreppe die Kutschen für Seine Majestät und der ihn begleitenden Herren zur Abfahrt zum Bahnhof bereit. Nach der Verabschiedung des Kaisers und der anderen hohen Gäste durch den Schlosshauptmann Werner Alvo von Alvensleben setzte sich der Sonderzug um 21:00 Uhr in Richtung Berlin in Bewegung. Die Ankunft in Berlin war für 23:36 Uhr geplant. Damit endete der letzte Jagdaufenthalt Seiner Majestät Kaiser Wilhelm II. in Neugattersleben.

Jagdkarte 1900
Jagdkarte 1900

Literatur:

  • Wilhelm Kamlah, Die Geschichte von Hohendorf, Neugattersleben und Löbnitz mit einer Chronik, Eisleben 1907
  • Ernst Krause, Die Kaiserjagden in Neugattersleben, 1935